19.05.2020
Weniger Demokratie durch neue Wahlordnung in der IHK Stuttgart
Auch in der IHK Stuttgart wurde nach den Vorgaben des IHK-Dachverbandes DIHK eine neue Wahlordnung beschlossen, die wie in vielen anderen IHKn den Anteil der kleinen und Kleinstunternehmen in den Vollversammlungen reduzieren soll. Denn neu ist, dass in zahlreichen Branchen-Wahlgruppen jetzt auch eine feste Anzahl von Mandaten für größere Firmen reseviert ist. Begründet wird das stets damit, dass so die Struktur der Wirtschaft im Kammerbezirk besser in der Vollversammlung abgebildet werden soll. Tatsächlich hat die IHK-Organisation die Notwendigkeit solcher Reformen erst nach dem fulminanten Wahlsieg der Hamburger Kammerkritiker entdeckt. Denn tatsächlich waren und sind es nicht nur aber eben viele kleine Unternehmen, die den Kammerzwang ablehnen und die Tätigkeit der Kammerorganisation kritisch betrachten. Dieses Kandidaten- und Wählerpotential wird durch die neuen Wahlordnungen erheblich geschwächt. Man darf sich schon fragen, warum so viele Großunternehmen in den Vollversammlungen verteten sein müssen, wenn über 90 Prozent der IHK-Mitglieder eben kleine oder Kleinstunternehmen sind.
Es gibt nun - besonders markant in der IHK-Stuttgart - einen Nebeneffekt dieser Reform. Der besteht darin, dass in immer mehr Wahlgruppen nicht genug Kandidatinnen und Kandidaten zu finden, um eine echte Wahl zu ermöglichen. In der IHK Stuttgart darf in 17 von 48 Wahlgruppen bereits der Wahlsieg gefeiert werden, weil mit der Kandidatur die Wahl mangels Gegenkandidaturen bereits feststeht. Die Reform führt also tatsächlich zu einem Abbau demokratischer Beteiligung. Nachfolgend dokumentierenwir dazu die Pressemitteilung der Stuttgarter Kaktus-Initiative, die ebenfalls wieder zur Wahl antritt.
+++ Presseinfo 18.05.2020+++
IHK Stuttgart scheitert an den Vorgaben ihrer neuen Wahlordnung Die Nachfrist für Wahlbewerbungen ist am 20. April 2020 abgelaufen, aber die IHK Region Stuttgart konnte die Vorgaben ihrer geänderten Wahlordnung für die Vollversammlungswahl in 17 der 48 Wahlgruppen nicht erfüllen: Die Wähler haben in 1/3 der Gruppen keine wirkliche Wahl, es gibt gerade einmal so viele Kandidaten wie Plätze, die damit automatisch gewählt sind.
Bereits bei den Beratungen zu der neuen Wahlordnung, die 2018 im Ruckzuck-Verfahren durchgedrückt wurde, kritisierte die kammerkritische Kaktus-Initiative die neuen Vorgaben. Die kleinen Unternehmen stellen zwar die Mehrheit der Kammermitglieder, werden bei der Wahl aber stark benachteiligt. Durch den Gruppenzuschnitt könnte es sogar passieren, dass kein Handelsunternehmen vertreten ist! Für Kandidaten wie Wähler ist das schwer nachvollziehbar, das macht das ehrenamtliche Engagement in Voll- und Bezirksversammlung unattraktiver.
„Als Folge der von der IHK-Führung durchgeboxten neuen Wahlordnung ist unverkennbar, dass eine Mehrheit sich nicht für diese IHK und die Arbeit in ihr interessiert,“ so Clemens Morlok, Unternehmer aus der Kaktus-Initiative. „Es finden sich mittlerweile nicht einmal mehr genug Bewerber*innen für die Vollversammlung, das betrifft vor allem die größeren Unternehmen.“
Martina Ueberschaar, Einzelhändlerin, fügt hinzu: „Die vielen kleineren Unternehmen fühlen sich besonders in der IHK mit ihren Anliegen unterrepräsentiert und benachteiligt. Wenn sie sich engagieren wollen, werden sie qua Wahlordnung ausgeschlossen, indem für sie viel zu wenige Plätze vorhanden sind.“
Thomas Albrecht, Unternehmer aus Esslingen, ergänzt: „Ich kandidiere jetzt zum vierten Mal. Vor jeder Wahl wird die Wahlordnung geändert. Offenbar haben viele diesen Zirkus der IHK-Führung satt und kandidieren nicht mehr. Auch die IHK konnte wohl nur wenige ihr passend scheinende zur Kandidatur überreden.“ Nicht nur wegen dieses Wahlvorgangs mit vielen automatisch in den neuen Gremien gesetzten Unternehmern verliert die IHK in der Unternehmerschaft immer mehr an Anerkennung und Legitimation. Die Zwangsmitgliedschaft wird vermehrt auch in konservativen Unternehmerkreisen abgelehnt. Jürgen Klaffke, Unternehmer aus Stuttgart, resümiert: „Die IHK hat durch die neue Wahlordnung wieder einmal bewiesen, dass sie Vertreterin der großen Unternehmen ist und nicht der vielen kleinen, die als Zwangsmitglieder zwar die Mehrheit stellen, aber bei der Wahl nicht die Mehrheit bekommen können.“