12.03.2020
Pflegekammer Nordrhein-Westfalen - massive Konflikte programmiertBei nüchterner Betrachtungsweise führt kein Weg an der Einsicht vorbei, dass die Errichtung einer Pflegekammer mit Mitglieds- und Beitragszwang in Nordrhein-Westfalen zunächst nicht mehr aufzuhalten ist. Zwar beschäftigt sich der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landtages am 18. März 2020 in einer Anhörung mit dem vorgelegten Gesetzentwurf. Wer die Mechanismen des Politikbetriebes kennt, weiß aber, dass dies nicht zu einer Kehrtwende führen wird. Dafür sind die Beharrungskräfte im Politikbetrieb einfach zu groß.
Dabei geben die Erfahrungen in den drei bereits gegründeten Pflegekammern durchaus Stoff zum Nachdenken. In Schleswig-Holstein und Niedersachsen waren und sind die Proteste so wirkmächtig und flächendeckend, dass die Kammern am Ende scheinen, bevor sie richtig den Betrieb aufgenommen haben. Und es bietet sich immer das gleiche Bild: Die Proteste richten sich nicht gegen die Errichtung einer Kammer als Werkzeug zur Stärkung der Pflege an sich. Die Proteste zielen auf den Mitglieds- und Beitragszwang, der mit diesen Kammern verbunden wurde. Und auch wenn die Lage in Rheinland-Pfalz deutlich ruhiger ist, so zeigt die dortige Pflegekammer eindrucksvoll, dass sie die Strukturen mangelnder Transparenz und Demokratie, die für eine Kammerbürokratie, die auf Zwang gründet, typisch sind, massiv reproduziert.Der nun anlaufenden Gründungsprozess in Nordrhein-Westfalen garantiert förmlich einen ähnlichen Verlauf. Bereits vor dieser Gründung formieren sich auch dort landesweit Widerstandsgrüppchen. Ganz wesentlich ist aber, dass sowohl strukturell wie argumentativ das Projekt „Pflegekammer Nordrhein-Westfalen“ auf tönernen Füßen steht.
Das beginnt damit, dass im Gesetzentwurf von einer Anschubfinanzierung von „maximal“ 5 Millionen Euro über die ersten drei Jahre die Rede ist. „Die weitere Finanzierung der Pflegekammer erfolgt aus Mitgliedsbeiträgen und Gebühren,“ heißt es im Gesetzentwurf. Daraus lassen sich nun zwei Schlüsse ziehen. Entweder verdienen die in Aussicht gestellten Mittel die Bezeichnung „Anschubfinanzierung“ nicht, weil knapp 1,7 Millionen Euro pro Jahr ersichtlich nicht ausreichend sind. (Zum Vergleich: Die Pflegekammer Niedersachsen hatte bei weniger als der Hälfte der vsl. Mitglieder schon für das Rumpfwirtschaftsjahr 2018 mit nur 5 Monaten ca. 6 Millionen Euro angesetzt.) Oder aber, es handelt sich tatsächlich um keine Anschubfinanzierung mit einer Beitragsfreiheit für die ersten Jahre, weil die neue Kammer vom ersten Tag an auch auf Mitgliedsbeiträge und Gebühren angewiesen sein wird. Selbst wenn die neue Kammer versuchen wollte, sich die ersten drei Jahre mit lediglich jeweils 1,7 Millionen Euro durchzukämpfen, wäre dies nicht weniger als die Folge eines massiven Eingriffs des Landes in die Selbstverwaltung, der mit seiner sogenannten Anschubfinanzierung für die ersten drei Jahre auf niedrigem Niveau ein Kostendeckel verordnet hätte. So oder so, der Ärger ist programmiert. Aber auch die argumentative Rechtfertigung für die Errichtung der Kammer, die ganz wesentlich auch die Umfrage unter den Pflegekräften geprägt hat, erweist sich als wenig überzeugend. In der Begründung zum Gesetzentwurf ist dazu zu lesen, dass die Pflegekammer nun gegründet werde, weil die Pflege „eine eigenständige Interessenvertretung braucht“ und, dass „viele Pflegefachkräfte (...) sich durch die bestehenden Verbandsstrukturen nicht ausreichend repräsentiert [fühlen] und (...) sich eine eigenverantwortliche Vertretung ihrer Interessen“ wünschen. Auch die Umfrage unter den Pflegekräften hat ihren Schwerpunkt beim Thema „Interessenvertretung“ und kommt in ihrem Abschlussbericht konsequenterweise kurz und knapp unter der Überschrift „Interessenvertretung der Pflege“ daher. Worum es bei der Errichtung der Pflegekammer tatsächlich geht, hat der Landespflegerat Nordrhein-Westfalen, der sich selbst massiv für eine Zwangs-Pflegekammer einsetzt, bereits in einer Stellungnahme im Jahr 2017 deutlich gemacht. Hier ist zu lesen:„Aus unserer Sicht geht es nicht in erster Linie darum, die Interessenvertretung der Pflege zu stärken, sondern darum die Menschen, die sich in einer hilfsbedürftigen oder hilflosen Situation befinden, davor zu schützen durch unqualifizierte Pflege Schaden zu erleiden. Dieses ist der primäre Zweck und die Legitimation einer Pflegekammer“ (Quelle, siehe hier - Hervorhebungen durch den bffk)Der Landespflegerat sieht in der Kammer also ein Instrument zur Sicherung der Qualität in der Pflege - als ein Kontrollorgan ggf. auch gegen Pflegekräfte. Nun muss hier nicht diskutiert werden, ob es eine solche Instanz neben der bereits bestehenden staatlichen Aufsicht braucht. Entscheidend ist vielmehr, unter welcher Überschrift die Pflegekammer auch von den Pflegeverbänden gegenüber den Pflegekräften „verkauft“ wurde und worum es tatsächlich geht. Erlaubt muss auch die Frage sein, warum nun ausgerechnet die Pflegekräfte für dieses neue Kontrollorgan auch noch alleine die Zeche bezahlen sollen. Der große Ärger ist auch hier förmlich programmiert.
ANMERKUNG 12. März 2020:
Die öffentliche Anhörung für den 18. März 2020 wurde wegen der Corona-Krise abgesagt. Die Verbände werden gebeten neben den eingereichten Stellungnahmen nun schriftliche Fragen der Ausschussmitglieder zu beantworten. Dies soll bis zum 30. April 2020 abgeschlossen sein.
Link zur Stellungnahme des bffk zur Errichtung einer Pflegekammer in NRW (Drucksache 17/7926)