Pflegekräfte entsorgen Kammerpost als Werbemüll – Gefährliche Entwicklung für die Demokratie
Das Konzept des Gründungsausschusses der Landespflegekammer Baden-Württemberg und der Landesregierung scheint aufzugehen. Zum Jahresanfang haben viele der Betroffenen das Schreiben der Kammer bekommen. In Gesprächen und auf Nachfrage bei Betroffenen kommen extrem vielfältige Rückmeldungen. Das diese Schreiben recht unauffällig mit der ganz normalen Post ohne Sendungsnachweis kommen, sorgt wohl dafür, dass diese in der täglichen Werbeflut untergehen oder dass die Betroffenen diese einfach achselzuckend auf die Seite legen, weil sie damit gar nichts anfangen können.
Die Landesregierung hat versprochen, transparente Informationen zur Registrierung bereitzustellen. Das klingt gut, wenn viele Pflegekräfte gar nicht erkennen, dass sie eine solche Registrierung erhalten und dort »transparent« informiert werden, ist das wenig zielführend.
Tatsächlich verstehen die meisten Pflegekräfte überhaupt nicht, dass sie jetzt »Mitglied« in dieser Kammer sind. Würde in dem Schreiben ehrlicherweise ein »Willkommen, sie sind jetzt für den Rest ihres Pflegeberufslebens zahlungspflichtiges Mitglied in der Landespflegekammer« stehen, würde die Wahrnehmung anders ausfallen. Stattdessen kommen Reaktionen wie »Dann trete ich halt nicht bei«, »keine Ahnung hab ich erst mal beiseitegelegt«. Reaktionen, die durch Ahnungslosigkeit, Ignoranz und Hilflosigkeit gekennzeichnet sind. Auch kam die Rückmeldung: »Das hab ich weggeschmissen.« »Ich dachte, das ist Werbung«. »Achso, ich dachte, da will mir jemand ‘was verkaufen«. Die Schreiben werden häufig nicht wirklich ernst genommen. Das dürfte ganz im Kalkül der Kämmerlinge liegen. Denn nur wenn mindestens 40% der Pflegekräfte das Einwendungsformular ausfüllen und zurücksenden, wird diese Kammer nicht installiert. Landet das Formular im Altpapier, wird dieses Quorum kaum erreicht.
Um so größer sind das Entsetzen und die Wut der Betroffenen, wenn sie in Gesprächen und z.B. per Infoschreiben erfahren, worum es da wirklich geht. Das Gefühl, vorsätzlich hinters Licht geführt worden zu sein, ist deutlich spürbar.
Zudem gibt es Arbeitgeber, welche die Pflegekräfte nicht über die Datenweitergabe im letzten Jahr informiert haben. Dadurch wären die Pflegekräfte bereits früher über das, was da kommt, informiert gewesen. Sie hätten dann die Schreiben auch nicht entsorgt. So stößt die Sache noch übler auf.
Wenn das Thema diskutiert wird, wird die Sache sehr schnell politisch. Wenn dann zur Sprache kommt, dass die Mitglieder der Grünen und die Mitglieder der CDU (gegen die Stimmen der Opposition) für diese Kammer verantwortlich sind, brechen schnell Äußerungen heraus, die im Wortlaut nicht gesellschaftsfähig sind. Pflegekräfte sind häufig den Verwerfungen der Sozialpolitik ausgesetzt und werden von der Politik extrem stiefmütterlich behandelt. Hier entsteht ein gefährlicher Sog und eine aufgeheizte Stimmung, der den populistischen Parteien in der aktuellen politischen Situation eine Steilvorlage bieten kann.
Zu diesem Artikel ein Kommentar von Daniel Buechner. Mitglied im Vorstand des bffk e.V.
Brandgefährlich für die Demokratie
In nur zwei Tagen habe ich viele Meinungen und Stimmungen im Bereich der Pflegekräfte innerhalb einer großen Klinik eingesammelt. Das Ergebnis ist der vorherige Artikel
Die Einrichtung der staatlich angeordneten Pflegekammern könnte in Baden-Württemberg zum politischen Sprengstoff werden. Viele Kolleginnen und Kollegen haben überhaupt nicht realisiert, dass sie jetzt im Prinzip schon kostenpflichtiges »Mitglied« in der Kammer sind.
Aktuell ist die Demokratie noch nie so massiv bedroht gewesen, wie seit der Gründung der Bundesrepublik . Sowohl von rechts-braunen, wie seit neuestem auch vom links-braunen Charakteren. Egal wo man politisch steht, es lässt sich nicht leugnen, dass die aktuell politisch Verantwortlichen, die Ursache dafür sind. Eine gefährliche Situation, in der sich dieses Land schon einmal mit üblem Ausgang befand.
Ich selbst erlebe innerhalb der Beschäftigten in der Pflege immer wieder, wie sich dieses populistische Gedankengut herauskristallisiert. Der Pflegeberuf steckt in einem extremen Spannungsfeld zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen Finanzierungsnöten und vielen Ungerechtigkeiten bei der Zuteilung von Ressourcen. Bei Arbeitsbedingungen zwischen Resignation, Burnout und Gleichgültigkeit. Ich kann schon lange niemandem mehr raten, diesen Beruf zu ergreifen.
Realität sind Pflegekräfte, die selbst in der Hochzeit von Corona Verschwörungstheorien und Querdenkern anhingen. Ohne zu realisieren, wo sie gerade bis über die Belastungsgrenze arbeiteten.
Unfaire Dinge wie Corona-Sonderzahlungen, die versprochen wurden, aber nie angekommen sind. Wenn sie angekommen sind, wurden sie teilweise an Personen umgeleitet, für die sie nicht gedacht waren. Politiker aller Couleur, die versprochen haben, für Verbesserungen in der Pflege zu sorgen und letztendlich nichts Relevantes geliefert haben.
Seit einiger Zeit kommen auch noch Belastungen durch die Flüchtlingsströme dazu. Ein Kulturunterschied, der in der täglichen Arbeit oft zu Spannungen führt. Wenn es dann noch zu vermeintlichen Ungerechtigkeiten in der Leistungszuteilung gegenüber z.B. Kassenpatienten kommt, die es hier und da sicher gibt, dann wird das sehr intensiv auch beim Personal wahrgenommen. Pflege, vor allem in Kliniken, findet in einer sehr geschlossenen Welt statt. Hier ballen sich die Probleme und Brennpunkte und verzerren die Wahrnehmung auf das Ganze. Wenn ich nur von kranken Menschen umgeben bin, nehme ich die Zahl der Gesunden nicht mehr wahr. Diese Verzerrungen sind in der jetzigen Zeit hochgefährlich. Die Unzufriedenheit ist weiter auf Höchststand.
Und nun kommt noch eine politisch angeordnete kostenpflichtige Zwangsorganisation obendrauf, die mit extrem fragwürdigen Methoden durch die grün-schwarze Landesregierung ins Leben gerufen wurde. Eine Organisation, die erhebliche Kosten verursacht, die Pflegekräfte gängelt und, wie man in der Praxis in zwei Bundesländern sieht, keinen Nutzen bringt. Zumindest nicht für die Pflegekräfte. Eingerichtet von Parteien, die ganz offensichtlich Klientelpolitik betreiben. In Baden-Württemberg vorangetrieben vom grünen Sozialminister, der seine Demokratieferne offen zur Schau trägt, indem er die Kammer hinter dem Rücken der Betroffenen einrichtet. Und von einem Landtagsparlament, in dem von keiner Partei jemand aufgestanden ist, und ihn dafür zumindest gerügt hat.
Unzufriedenheit ist ein Nährboden für Populisten.
Ich war erschrocken, wie schnell sich die Diskussion über die neue Zwangskammer in eine politische Diskussion umwandelte. Die dann herausplatzende Wut auf die politisch Verantwortlichen rutschte da schnell unter Stammtischniveau ab. Es war deutlich herauszuhören, dass dies nicht nur spontanen, unbedachten Äußerungen waren. Da steckte eine tiefe und lange gewachsene Wut und Unzufriedenheit dahinter, die im Verborgenen gärt.
Nein, natürlich sind das nicht alle Pflegekräfte. Wie groß oder klein der Anteil ist, kann ich nach dieser Momentaufnahme nicht sagen. Aber die Häufigkeit macht mir Angst.
Eine »Radikalisierung« die man z.B. mit einer Kammer auf freiwilliger Basis, aufgebaut auf Wertschätzung und Demokratie, hätte verhindern können. Wenn man gewollt hätte.